Fallbeispiel, Debatte und Blick in die Zukunft nach mehr als 30 Jahren Beschäftigtentransfer
Festlicher Ausblick mit Podiumsdebatte in Berlin
Wie etwas feiern, das im Zusammenhang steht mit menschlichen Schicksalen durch Jobverluste?
„Indem wir heute gemeinsam auf mehr als dreißig Jahre Beschäftigtentransfer zurückblicken, der tausenden Menschen auf den Weg in ihre neue Zukunftsperspektive geholfen hat und gerade heute in der Transformation unserer Wirtschaft den Fachkräftemangel vielerorts mindert“, betonte heute in Berlin Frank Müller, Vorsitzender des Bundesverbandes der Träger im Beschäftigtentransfer (BVTB), bei einem festlichen Ausblick auf die Zukunft des Arbeitsmarktinstruments Transfergesellschaft.
Damit sendete der BVTB-Vorsitzende vor rund 80 Gästen in der Cantinerie in Berlin ein deutliches Signal Richtung Politik, die dem Instrument des Beschäftigtentransfers in den vergangenen drei Jahrzehnten zu oft skeptisch gegenüber stand: „Auch die aktuelle Bundesregierung erwähnt es in ihrem Koalitionsprogramm an keiner Stelle.“
Dabei seien Transfergesellschaften eine wichtige Stütze der notwendigen Transformationsprozesse: „Sie gestalten Branchenübergänge, fördern dabei gezielt Zukunfts-Skills, sie setzen komplexe Qualifizierungsvorhaben, besser gesagt Personalentwicklungsvorhaben, um, und sie ermöglichen die Entwicklung der individuellen Potenziale bei vom Stellenabbau betroffen Menschen, wie im Fall Ungelernter oder Angelernter zu Fachkräften“, zählte Frank Müller Argumente auf: „Vor allem entstehen Lernräume für niedrigschwelliges, gesellschaftspolitisches Lernen.“
In seiner Keynote „Berufliche Wandlungsprozesse und Transformation“ versuchte Harald Welzer, Honorarprofessor für Transformationsdesign an der Europa-Universität Flensburg und Direktor von „FUTURZWEI. Stiftung Zukunftsfähigkeit“, einen speziellen Blick auf die Situation unserer Wirtschaft und Gesellschaft.
Sie sei vergleichbar mit kritischen Lebensereignissen von Individuen. „Auf den Schock folgt die Minimierung, sprich: ich bin ja nicht betroffen“, schilderte er zwei aufeinanderfolgende Reaktionen: „Entscheidend ist aber die Adaptierung im Anschluss daran, nämlich die Realität anzuerkennen und zu handeln.“ Dort seien wir hierzulande aber noch nicht angekommen. „Warum auch?“, so Harald Welzer: „Unser westliches System war doch viele Jahrzehnte in jeder Hinsicht so extrem erfolgreich!“
Transfergesellschaften Avantgarde des Transfers
Den Transfergesellschaften im BVTB bescheinigte der Soziologe unterdessen, dass sie doch eigentlich die „absolute Avantgarde“ des Transfers angesichts der vielen Themen seien, die unsere Gesellschaft bewegten: „Ihr Wissen, Ihre Erfahrungen mit Gelingen und Nichtgelingen zählen in der aktuellen Situation.“
Konkreten Einblick in die Situation eines Menschen, der Stellenabbau erlebt und in einer Transfergesellschaft seine neue Perspektive entwickelt und umsetzt, gab Robert Lux in einer Podiumsdebatte. Sein Arbeitgeber, ein Automobilzulieferer, hatte in der E-Auto-Krise den Betrieb geschlossen. Robert Lux musste deshalb nach zehn Jahren Anstellung gehen.
Der Ingenieur hat dann mit Unterstützung seiner Transfergesellschaft nach einer umfassenden Weiterbildung die Idee einer Selbständigkeit als Projektmanager entwickelt und bis zur Umsetzung ausgearbeitet. „Die Transfergesellschaft war für mich das Fundament, auf dem ich etwas wagen konnte, was ich sonst nicht hätte tun können“, erinnerte er sich.
Das Beispiel von Robert Lux zeigt auch, wie sich die Transformation der Wirtschaft, der Wandel der Arbeitswelt, auf die reale Lebens- und Arbeitssituation von immer mehr Menschen auswirkt. Oft geht es um die Neuausrichtung ganzer Branchen, aber auch um Digitalisierung oder demografische Veränderungen.
„Transformation bedeutet für mich, Veränderung nicht als Ausnahme, sondern als Dauerzustand zu begreifen“, sagte Florian Swyter, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Personaldienstleister (GVP), als weiterer Gast im Podium: „Egal ob in der Familie, wo Kinder ihren eigenen Weg gehen, oder in unserem Verband, den wir nach einer Fusion neu ausgerichtet haben, entscheidend ist immer, Wandel aktiv zu gestalten, mit Offenheit, Orientierung und dem Mut, Bekanntes loszulassen.“
Beschäftigtentransfer ist für Florian Swyter deshalb ein wichtiges Instrument, um Brücken zu bauen, zwischen Beschäftigten, die ihre Stelle verlieren, und Unternehmen, die Fachkräfte suchen: „Für uns als Gesamtverband der Personaldienstleister fügt er sich in das größere Bild eines funktionierenden Arbeitsmarkts ein: Es geht darum, Übergänge aktiv zu gestalten, Chancen zu eröffnen und Arbeitskraftpotenziale zu sichern.“ So entstünden aus Krisen neue Perspektiven, für Menschen wie für Unternehmen.
„Aus meiner Sicht hat der Beschäftigtentransfer einen hohen Stellenwert in der aktuellen Arbeitsmarktpolitik“, betonte Dr. Sandra Saeed, Geschäftsführerin des Beratungshauses „Kompetenznetz Transformationsberatung GmbH“, das sie im Auftrag der Industriegewerkschaft BCE gegründet hat: „Es geht längst nicht mehr um die pure Vermittlung auf neue Arbeitsplätze, vielmehr sind Aktivitäten wie Profiling oder die Organisation einer gezielten Weiterentwicklung wichtige Bestandteile, damit Beschäftigte diese Veränderungsprozesse erfolgreich bewältigen können.“
13 Millionen Beschäftigte in Deutschland vom technologischen Wandel betroffen
Mit ihrem Kompetentznetz wendet sich Dr. Sandra Saeed an Betriebsräte, die sie in der Transformation passgenau mit externen Sachverständigen unterstützt: „Ziel ist es dabei, die Interessen der Belegschaften in der Transformation zu wahren, für sichere Arbeitsplätze, zukunftsfähige Standorte und gute Arbeit.“
Christian Sprenger von der Bundesagentur für Arbeit erinnerte sich im Podiumsgespräch an den Verlust der Arbeitsplätze seiner Eltern nach der Wende, der ihn stark geprägt habe: „Damals gab es keine Unterstützung von außen, sie mussten allein mit viel Mut und Eigeninitiative einen neuen Anfang schaffen.“ Das verdeutliche ihm, wie wichtig begleitende Unterstützung für Betroffene heute sei.
„Rund 13 Millionen Beschäftigte in Deutschland sind vom technologischen Wandel betroffen“, nannte der Experte Zahlen: „Frühzeitige Beratung sollte deshalb Beschäftigte dabei unterstützen, berufliche Alternativen zu erkennen, ihre Stärken optimal einzusetzen und sich gezielt weiterzubilden.“ Christian Sprenger ist überzeugt, dass sich die Herausforderungen der großen Transformationsprozesse nur gemeinsam mit allen Akteuren am Arbeitsmarkt in möglichst viele Chancen umwandeln lassen.
Der BVTB-Vorsitzender Frank Müller forderte deshalb auch mit Blick auf die Bundesagentur für Arbeit, dass der Zugang zu Transferinstrumenten erheblich vereinfacht werden müsse. Langjährig Beschäftigte müssten einen Rechtsanspruch auf Beschäftigtentransfer geltend machen können. „Wir sollten bei der Planung des Morgen das Übermorgen mitdenken“, betonte er: „Deshalb müssen wir den Vorrang von Vermittlung vor Qualifizierung für Mitarbeitende in Transfergesellschaften endlich abschaffen.“ Die Verfahren im Beschäftigtentransfer müssten zudem entbürokratisiert, unsinnige Regelungen abgeschafft werden. „Stattdessen brauchen wir ein wirksames System der Qualitätssicherung“, so der Vorsitzende.
Hintergrund
Transfergesellschaften sind in den vergangenen Jahrzehnten auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu unverzichtbaren Dienstleistern geworden. In enger Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit helfen sie Unternehmen bei einem sozialverträglichen Arbeitsplatzabbau und den betroffenen Beschäftigten im Vermittlungsprozess und bei der beruflichen Neuorientierung. Während der Zeit in der Gesellschaft befinden sich die Menschen in „Kurzarbeit Null“. Die Beraterinnen und Berater der Transfergesellschaften haben die Aufgabe, diesen Transferprozess durch Qualifizierungsangebote, intensive Gespräche zur Neupositionierung am Arbeitsmarkt und gezielte Vermittlungsangebote zu strukturieren.
Der Verband
Der Bundesverband der Träger im Beschäftigtentransfer e.V. wurde 2007 gegründet und hat es sich seither zum Ziel gesetzt, die verschiedenen Instrumente des Beschäftigtentransfers weiterzuentwickeln, ihren Einsatz zu fördern und in der Öffentlichkeit kompetent zu vertreten. Der BVTB hat 18 Transfergesellschaften als Mitglieder, die rund75 Prozent des deutschen Marktes für Beschäftigtentransfer abdecken. Der Verband wird durch einen rein ehrenamtlichen Vorstandvertreten,der aus vier Geschäftsführenden verschiedener Mitglieder besteht.
Das Foto zeigt von links: Florian Swyter, Christian Sprenger, Dr. Sandra Saeed, Frank Müller und Robert Lux